Warum das Buch „Weizenwampe“ nach Meinung von Experten höchst unseriös ist…
In seinem Buch „Wheat Belly“ – in Deutschland unter dem Namen „Weizenwampe“ erschienen und ebenfalls ein Bestseller – wirft der amerikanische Arzt Dr. William Davis einige tollkühne Thesen auf, wie schon der Untertitel des Buches unterstreicht: „Warum Weizen dick und krank macht“. Demnach sei dem Weizen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Züchtungen ein zusätzliches Eiweiß mit dem Namen „Gliadin“ beigefügt worden, so dass der Weizen heute ein „gesundheitsschädigender Dickmacher“ sei. Er fördere Diabetes sowie den Alterungsprozess, schädigt Herz und Hirn und sei schlecht für die Haut. In der Folge empfiehlt Davis, sich strikt glutenfrei zu ernähren.
Das Buch vermischt leider wissenschaftlich anerkannte Wahrheiten geschickt mit Halbwahrheiten und reiner Spekulation. Hierzu wurden Studienergebnisse argumentativ ins Gegenteil verkehrt oder verkürzend dargestellt. So führt der Autor zwar korrekterweise aus, dass es Erkrankungen gibt, bei denen Weizen oder Gluten gemieden werden soll. Wie hier dargestellt, sind diese jedoch sehr selten. Daher werden die Kernaussagen im Buch von nahezu allen seriösen Wissenschaftlern energisch bestritten, u.a. von Professor Dr. Detlef Schuppan, der als führender Forscher auf dem Gebiet der Weizenunverträglichkeit in den USA und in Deutschland gilt und in einem Interview seinen Unmut über die „pseudowissenschaftlichen Bücher zum Thema Weizen“, darunter besagtes, äußerte.[1]
In der Tat halten die Thesen von Davis keiner sachlichen Prüfung stand. So hat der amerikanische Wissenschaftler Thomas B. Osborne in seinem 1907 erschienenen Buch „Proteins oft the wheat kernel“ (Die Eiweiße des Weizenkorns) bereits Gliadine beschrieben, die gemeinsam mit Glutenin das bekannte Gluten bilden. Die Aussage von Davis, Gliadine wären eine Züchtung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist also falsch.
Auch dass Weizengluten abhängig mache, wie Davis behauptet, kann widerlegt werden. Hier interpretiert der Autor erneut Halbwahrheiten auf unsachliche Weise, indem er bioaktive Peptide, sogenannte Exorphine, unter Verdacht stellt. Diese haben hinsichtlich ihrer Wirkung eine gewisse Ähnlichkeit mit den vom Körper selbst produzierten Endorphinen, auch als „Glückshormone“ bekannt. Jeder kennt den Effekt, dass man bei ofenfrischem Brot gar nicht mehr aufhören möchte zu essen. Jedoch reicht die Dosis dieser Exorphine im Brot bei weitem nicht aus, um eine Sucht zu erzeugen. Erst recht kann dies kein Problem des Brotes sein, denn natürliche Exorphine finden sich auch in Milch und Kaffeebohnen. Die These „Brot macht abhängig“ ist demnach ebenso abstrus wie die These „Latte Macchiato macht abhängig“. Richtiger wäre: Brot macht glücklich!
Dass Weizen Diabetes oder Herzinfarkt verursacht, wie in besagtem Buch behauptet wird, kann ebenfalls widerlegt werden. Wer kein Übergewicht hat, bekommt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit auch keinen ernährungsbedingten Typ-2-Diabetes. Und die Herzinfarktrate in Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren fast halbiert, trotz gestiegenem Verzehr von Weizen.[2]
Es ist zu vermuten, dass Dr. Davis, der Kardiologe und keinesfalls Ernährungsmediziner ist, vorwiegend wirtschaftliche Interessen verfolgt. Um die hierzu notwendige Aufmerksamkeit zu erreichen, versetzt er die Menschen mit seinem Buch in Angst und wird von vielen Medien, denen das Thema aus den gleichen Gründen Auflage oder Quote bringt, nur zu gerne flankiert. Weil die Menschen oft glauben, was Medien thematisieren, entsteht ein Teufelskreis aus Angst und Unsicherheit und hierdurch nicht selten ein Placeboeffekt. Denn wer Angst vor Weizen hat und diesen weglässt, wird den Eindruck haben, dass es ihm besser geht. Andere werden ihm diesen Effekt bestätigen, was letztlich zu einem gegenseitigen Hochschaukeln führt. Angeblich sollen sich in den USA bis zu 30 % der Menschen ohne jede gesundheitliche Notwendigkeit glutenfrei ernähren, mit irrsinnigen Abstriche bei Genuss und Lebensqualität!
Dir, lieber Brotfreund, sei daher geraten, derlei Schlagzeilen stets mit großer Gelassenheit zu begegnet und die Dinge kritisch zu hinterfragen. Wer bei jedem neuen Ratgeber sofort seine Ernährung umgestellt, hat viel zu tun und schadet sich selbst – nicht zuletzt durch den Verzicht auf einen lieb gewonnenen Genuss.
Publiziert im Internet unter http://goo.gl/W5GU31 (abgerufen am 15.02.2015)
Stellungnahme im Januar 2013 von Prof. Dr. med Wolfgang Holtmeier, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie Diabetologie und Innere Medizin am Krankenhaus Porz am Rhein, akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Köln, siehe http://goo.gl/udwqRU (abgerufen am 30.03.2013)