Erstaunliches zu unseren Vorfahren. Oder: Warum die Steinzeit-Diät Paleo (auch „Paläo“) irrt…
Nicht wenige sogenannte Ernährungsexperten leben davon, dass sie unsere traditionellen Ernährungsgewohnheiten permanent in Frage stellen, durch unsachliche Auslegung von Studien vermeintlich Unglaubliches zu Tage fördern und in Form immer neuer Wunderdiäten oder Bücher thematisieren. Zahlreiche Medien flankieren dies mit Blick auf Auflage oder Einschaltquote gerne, was die Unsicherheit der Menschen befördert und Ängste auslöst: „Ernähre ich mich derzeit womöglich falsch? Muss ich mich anders ernähren?“
So geht regelmäßig eine u.a. als „Steinzeit-Diät“ oder „Paleo-Diät“ bekannt gewordene Ernährungsform durch die Gazetten. Sie wird von der These getragen, dass der menschliche Körper aus Sicht der Evolution nur bedingt auf die heutige Ernährung eingestellt ist. Das Credo der Paleo-Jünger lautet: „Nur wenn Du es pflücken oder töten kannst, darfst Du es essen.“ Kohlenhydrate sind unerwünscht und demzufolge sind auch Getreideprodukte wie Brot tabu.
Was auf den ersten Blick logisch klingt, hält keiner kritischen Überprüfung Stand. In der Tat war der Neandertaler Fleischfresser, wie eine Untersuchung des Neandertaler-Fossils im Rheinischen Landesmuseum Bonn bestätigt. Obwohl dieser entlang des Flusses Düssel gelebt hat, verschmähte er Fisch und aß auch kaum Kohlenhydrate. Weitere Studien aus Frankreich, Belgien und Kroatien bestätigten dies. Die Ernährung der Neandertaler war demnach mit jener von Wölfen vergleichbar. Sie bestand zu 90 Prozent aus Fleisch.[1]
Wer sich hierdurch in der These bestätigt fühlt, dass wir alle von Haus aus Fleischfresser sind, übersieht den maßgeblichen Umstand, dass die Neandertaler keinesfalls unsere Vorfahren, sondern vor rund 30.000 Jahren ausgestorben sind. Dies hat nach Ansicht von seriösen Wissenschaftlern auch damit zu tun, dass sie eben nicht – wie unsere Vorfahren – auf Brei und später auf Brot gesetzt haben. Denn Getreide ist sehr energiereich, was für die Gehirnentwicklung wichtig war und ist. Das Gehirn ernährt sich ausschließlich von Kohlenhydraten! Zudem lässt sich Getreide im Gegensatz zu Fleisch bestens lagern und transportieren. Unser Vorfahren haben gerade wegen ihrer Brotkultur überlebt und gut entwickelt, die Neandertaler als Fleischfresser nicht.
Erkenntnisse aus Ausgrabungen bestätigen diese These. Anhand von 30.000 Jahre alten Steinwerkzeugen aus Italien, Russland und der Tschechischen Republik, deren Abnutzungsspuren und mikroskopischen Analysen wurde belegt, dass damit Mehl hergestellt wurde und dieses maßgeblich zur Ernährung beitrug.[2] Schon vor 30.000 Jahren! In Jordanien haben Forscher etwa 11.000 Jahre alte Gebäude ausgegraben, die nachweislich als Kornspeicher genutzt wurden.[3] Geht man von einem durchschnittlichen Generationenabstand von 20 Jahren aus, was früher vermutlich realistisch war, bedeutet dies, dass wir uns schon seit mindestens 1.500 Generationen von Getreide ernähren. Schon seit mindestens 22.000 Jahren wird Getreide auch in gebackener Form verzehrt. Die Menschen ernähren sich also schon seit mindestens tausend Generationen von Brot![4] Die Grundannahme der „Steinzeit-Diät“ Paleo ist also falsch.
Es gibt viele weitere Gründe, warum Paleo irrt: 1. Die Pflanzen und Früchte, die heute angebaut werden oder wild wachsen, stimmen genetisch kaum noch mit jenen in der Steinzeit überein. 2. Es ist gar nicht möglich, weltweit sieben Milliarden Menschen ohne Brot zu ernähren. Ein Fünftel aller weltweit verzehrten Kalorien werden alleine durch den Weizen abgedeckt und die Erzeugung der gleichen Kalorienanzahl in Form von Fleisch würde ein Vielfaches der bestehenden Agrarfläche benötigen – von den Auswirkungen auf die Umwelt durch noch intensivere Massentierhaltung einmal ganz abgesehen. 3. Es gibt viele gesundheitliche, ökologische und ethische Aspekte, den Fleischkonsum nicht zu erhöhen.
„Ich ernähre mich nach den Paleo-Regeln, mir geht es gut dabei und ich habe sogar abgenommen!“. Kann sein, ganz herzlichen Glückwunsch. Doch viele Ernährungserfolge basieren lediglich auf dem Placebo-Effekt, sprich: wenn man fest daran glaubt, dann hilft es tatsächlich. Und spätestens, wenn die strikte Nahrungskontrolle laut Paleo nicht mehr durchzuhalten ist, weil der Körper zu Recht wieder Brot und andere „verbotene“ verlangt, wartet der Jojo-Effekt. Dieser Tat kommt, denn schließlich bedeutet Ernährung nicht nur die kontrollierte Zuführung von Nährstoffen, sondern immer auch Geselligkeit und Genuss.
Die Steinzeit-Diät Paleo ist daher ein Trend, der aus meiner Sicht nicht nachhaltig sein kann. Es gibt bereits Gegentrends wie z.B. High-Carb
Zur weiteren Vertiefung zum Thema Paleo empfehle ich diesen Bericht bei Zeit Online.
Bericht „Neandertaler war Fleischfresser“ in der Frankfurter Rundschau vom 26.08.2008, online verfügbar unter http://goo.gl/vv9bza (abgerufen am 9.3.14)
Siehe z.B. diesen Artikel bei Spiegel Wissenschaft: http://goo.gl/tq4Mls (abgerufen am 11.5.14)
Bericht „Als die Jäger sesshaft wurden“ in: Bild der Wissenschaft vom 26. Juni 2009, online verfügbar unter http://goo.gl/eajCmu (abgerufen am 18.5.14)
Siehe z.B Artikel „Brot backen ist wesentlich älter als die Landwirtschaft selbst“ vom 11.08.2004 in: Der Standard online. http://derstandard.at/1749439, (abgerufen am 21.06.14)