Zum Thema Brot in der Ernährung

War das Brot früher besser?

Immer wieder hört man die Aussage, dass das Brot früher besser gewesen sei. Sätze wie diese sind voller Nostalgie und Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, die es aber so (auch beim Brot) leider nie gab, wie dieser Beitrag beweist…

„Backen und Brauen gelingen nicht immer“

Bis man die Hefegärung entdeckte, war die Brotqualität reiner Zufall. Noch im 16. Jahrhundert wusste der Volksmund: „Backen und Brauen gelingen nicht immer“. Zu den gängigen Werkzeugen eines Bäckers gehörte damals das Bäckerhorn, das immer dann laut geblasen wurde, wenn ein Brot gelungen war. Dann wurden die Holzläden vor dem Bäckerladen geöffnet. Das Wort „Ladenöffnung“ kommt von daher! Bis vor gut 100 Jahren ging es auch überhaupt nicht um Brotaroma und -qualität, sondern um die Produktion von Kalorien, damit die Menschen nicht verhungerten! Die Ernährung bestand früher teilweise aus bis zu 80 % aus Brot, was die Bedeutung des Kulturgutes Brot für die damalige Zeit erklärt. Neben dem täglichen Brot für den Alltag gab es dabei auch besondere Brote für Festtage, doch die Zeiten waren hart.

Die Versorgung mit Getreide war damals bei weitem nicht so sicher wie heute. In Notjahren wurde das Brot oft mit zweifelhaften Zutaten wie z.B. Sägemehl gestreckt. Kein geringerer als der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer hat ein eigenes Brotrezept für Notzeiten geschaffen und als „Verfahren zur Herstellung eines dem rheinischen Roggenschwarzbrot ähnelnden Schrotbrotes“ patentieren lassen. Heutigen Qualitätsansprüchen würde es nicht mehr genügen.

Tod durch Brot

Auch Mutter Natur hat früher oft ins Brot gepfuscht, z.B. durch zu feuchte Erntebedingungen, die regelmäßig zu Vergiftungen durch Mutterkornalkaloide führten, Ergotismus genannt. Früher nannte man die Erkrankung oft „Sankt Antonius-Feuer“, je nach Region auch Sankt-Antonius-Rache, Muttergottesbrand (Westfalen) usw. Die Bezeichnung „Sankt Antonius Feuer“ geht auf die Mönche des Antoniter-Ordens zurück, die im 15. Jahrhundert in ganz Europa etwa 370 Spitäler betrieben und dort Opfer der weit verbreiteten Krankheit behandelten. Diese war derart gefürchtet, dass Prozessionen und Zeremonien zu ihrer Abwehr zelebriert wurden. Noch heute wird auf Sardinien alljährlich im Januar das „Focolare di Sant’ Antonio“ (Antoniusfeuer) zur Abwehr von Krankheiten gefeiert.

Die erste historisch belegte Ergotismus-Epidemie trat im Jahr 857 bei Xanten auf. Im Jahr 943 sollen europaweit etwa 40.000 Menschen zum Opfer gefallen sein, vorwiegend in Frankreich und Spanien. Trotz des bereits in der Antike vermuteten Zusammenhangs der Erkrankung mit befallenem Getreide wurden erst nach neuerlichen Epidemien 1716–1717 in Dresden sowie in den Jahren 1770-1777 in ganz Europa gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen. Dennoch kam es noch in den Jahren 1926/1927 in der Sowjetunion zu Massenver-giftungen mit über 11.000 Toten. In Deutschland konnte zwar im Jahr 1985 noch eine Vergiftung auf mutterkornhaltiges Müsli zurückgeführt werden, dennoch ist die Rohstoffsicherheit heute gewährleistet, was das früher bessere Brot doch sehr relativiert.

Die Bedingungen des Brotbackens

Hygiene stand früher ebenfalls nicht im Vordergrund. Eine Berliner Polizeiverordnung über den Betrieb von Bäckereien aus dem Jahr 1908 sah u.a. das Aufstellen und die tägliche Reinigung von Spucknäpfen vor, zudem die wöchentliche Ausgabe von Handtüchern und das Wechseln der Bettwäsche der Bäcker alle vier Wochen.[1] Außerdem untersagte sie die Teigknetung mit den Füßen, was die Vermutung nahelegt, dass entsprechender Regelungsbedarf bestand. Haustiere in der Backstube waren noch sehr lange eher die Regel als die Ausnahme und selbstverständlich wurde beim Backen damals kräftig geraucht.

Fazit

Die Aussage, dass das Brot früher besser war, entbehrt also jeder Grundlage. Jedoch verbindet so mancher die eigene Kindheit bei den Eltern oder Großeltern mit entsprechend angenehmen Emotionen. Weil diese deutlich mehr Brot gegessen haben als heute (übrigens ohne davon dick zu werden), wird insbesondere das damals noch gemeinsam zelebrierte Abendbrot oft mit sehr angenehmen Emotionen verbunden. Aus dem gleichen Grund schmeckt auch ein Baguette im Urlaub in Südfrankreich stets besser als eines bei Regenwetter in der eigenen Küche. Dies und die vielen Medienberichte von der angeblich vielen Chemie im Brot könnten Grund für die Aussagen sein, dass Brot früher besser gewesen sei.

Doch sogar das für seine regelmäßigen Skandalberichte zu Brot bekannte Stern-Magazin, das noch im Jahr 2017 mit dem Titel „Das Märchen vom guten deutschen Brot“ polterte, musste in seiner Ausgabe vom 16.07.2020 eingestehen: „Das Grundnahrungsmittel Brot leistet einen entscheidenden und ziemlich einzigartigen Beitrag zur ausgewogenen und gesunden Ernährung – und wird es weiterhin tun“. Auch der wissenschaftliche Beirat des Deutschen Brotinstituts bestätigt: „Das heutige Brot ist das qualitativ beste Brot in der gesamten Menschheitsgeschichte.“ Beiden Aussagen ist nichts hinzu zu fügen.

(Überarbeitung des am 18. August 2015 geschriebenen Original-Blogbeitrags, Stand 01.08.2020)

Sammlung Museum der Brotkultur, Ulm