Von blauem Brot, Brot als Radiergummi und brotloser Kunst…
Die Bezeichnung „Brot“ wird spätestens seit dem 16. Jahrhundert mit der Kunst in Zusammenhang gebracht. So zitiert man den im Jahre 1546 verstorbenen Martin Luther wie folgt: „Kunst gehet nach Brot, aber Brot wird ihr wieder nachlaufen und nicht finden“.[1] Auch der deutsche Pädagoge Michael Neander schreibt 1590 in seine Sammlung der deutschen Sprichwörter: „Kunst gehet nach Brot“.[2] Gotthold Ephraim Lessing lässt seinen Prinzen im Trauerspiel Emilia Galotti aus dem Jahr 1772 gleichsam fragen: „Was macht die Kunst“. Der Hofmaler Conti antwortet darauf: „Prinz, die Kunst geht nach Brot.“[3] Gemeint ist die Kluft zwischen der Kunst als Ausdrucksform des Schönen, die ihre Rechtfertigung in sich selbst findet, und der Notwendigkeit des Künstlers, hiermit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Gegenteil wäre „brotlose Kunst“, gleichsam ein geflügeltes Wort.
Brot hatte in der Kunst aber auch eine ganz praktische Funktion. So diente die Weißbrotkrume früher zur Beseitigung von Bleistiftstrichen. Im Jahre 1770 tauschte der britische Ingenieur Edward Naime das Brot gegen ein Stück Gummi und erfand damit den Radiergummi, die er selbst erfolgreich verkaufte. Allerdings war Gummi damals ähnlich verderblich wie Brot. Erst nachdem Charles Goodyear im Jahr 1839 die Vulkanisation erfand, wurden Radiergummis zum haltbaren, alltäglichen Verbrauchsgegenstand. Jedoch verwenden manche Künstler noch heute weißes Brot, um Kohle- oder Pastellzeichnungen aufzuhellen.
Künstler haben das Brot stets als Inspiration für verschiedenste Werke genutzt. So etwa zahlreiche Schriftsteller. Die Gebrüder Grimm ließen Hänsel und Gretel im gleichnamigen Märchen eine Spur aus Brotkrümeln legen, um zurück aus dem Wald zu finden und thematisierten Brot auch in weiteren Geschichten wie z.B. Sterntaler. Hans Christian Andersen schrieb das Märchen „Das Mädchen, das auf das Brot trat“ und Wilhelm Busch sein Gedicht „Das Brot“. Der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller Jaroslav Seifert dichtete: „Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat.“ Auch Johann Wolfgang von Goethe dichtete in seinem 1796 erschienenen Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß…“.
In der Malerei sind es vorwiegend religiöse Motive, welche das Brot thematisieren. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war dies vor allem das letzte Abendmahl und die christliche Nächstenliebe, die Caritas. Beispielhaft für viele andere Motive sei das berühmte, bereits 1498 fertiggestellte „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci genannt, das als Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens gilt. Oder auch Raffaels Wandfresko „Disputa del Sacramento“ im Vatikan, das um 1510 entstanden ist.
Gesteigerte Aufmerksamkeit haben Künstler dem Brot stets auch in Zeiten des Mangels gewidmet, so etwa in den Krisenjahren der Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Ein beträchtlicher Teil der kritischen Kunst dieser Jahre beklagt nicht nur den Hunger, sondern erhebt auch direkte Anklage gegen jene, die diesen Mangel verursacht haben. Die stärksten und eindringlichsten Arbeiten zum Thema Brot stammen von Künstlern wie Otto Dix, Georg Grosz, Karl Hubbuch, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach oder Max Beckmann.[4]
Die ästhetische Form des Brotes und dessen Bedeutung für die Menschheit, insbesondere auch in den Religionen, inspirierte die größten Künstler. Und es inspiriert sie noch immer. So spannt sich ein Bogen über viele Künstlergenerationen, von Leonardo da Vincis letztem Abendmahl (anno 1498 fertiggestellt) über Stilleben mit Motiven wie „Brot und Wein“, die ebenfalls schon seit über 500 Jahren gemalt werden, bis zu modernen Kunstwerken wie Man Rays Objekt „Blue Bread“, ein blau gefärbtes Baguette.
Gemäß der Bedeutung des Brotes für das (Über)leben der Menschheit hat Brot auch seinen festen Platz in der Sprache gefunden. Dies ist bei Redewendungen wie „in Lohn und Brot stehen“, „sein Brot verdienen“ oder „brotlose Kunst“ sehr augenfällig, bei vielen Worten jedoch nicht. So ist der „Kumpan“ jemand, mit dem ich mein Brot teile. Das Wort soll aus dem Lateinischen stammen: Cum panis = mit Brot.
Aus dem Buch „Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz“ von Georg Büchmann, Ullstein-Verlag
Michael Neander: Ethice vetus et sapiens veterum Latinorum sapientum, Leipzig 1590
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti, Trauerspiel in 5 Aufzügen
Aus dem Text „Der Mensch und das Brot“ von Dr. Andrea Fadani, erstellt und u.a. publiziert im Museum für Brotkultur, Ulm, sowie im deutschen Brotregister unter www.brotkultur.de