Zum Thema Brotkultur

Backen ist wieder sexy

Interview in den Weinheimer Nachrichten inkl. Odenwälder Zeitung (WNOZ) vom 07.08.2020. Danke an den Verlag für die Genehmigung des Abdrucks. Der Original-Beitrag kann auf dieser Seite der WNOZ erworben und gelesen werden.

Von Theresa Horbach

Wenn Bernd Kütscher eine Treppe hochgeht, nimmt der 52-jährige zwei Stufen auf einmal. Der große Mann mit der Glatze zeigt die Seminarräume im Waldschloss. Sie muten wie eine Mischung aus Backstube und Physiksaal an. Gelegentlich zückt Kütscher sein Smartphone, dreht kurze Videos für die sozialen Medien. Mit rheinischem Akzent stellt er die Kurse vor, die gerade stattfinden. Seit 14 Jahren leitet der Bäckermeister und Betriebswirt die Akademie. Das Interview führten wir im hauseigenen Restaurant

WNOZ: „Brot ist Porno“, titelte kürzlich die Zeit. Für andere ist Brot Kunst oder gar Wissenschaft. Was ist Brot für Sie?
Bernd Kütscher: Diese Ansichten teile ich. In der Herstellung ist Brot außerdem Zauberei. Mithilfe von komplexer, rein natürlichen Biochemie wird aus Mehl, Wasser und Salz – alles Zutaten, die an sich nicht besonders lecker sind – ein Produkt, das fantastisch schmeckt. Noch dazu hat es einen hohen ernährungsphysiologischen Wert. Brot ist auch ein Kulturgut, das die Menschheit mehr geprägt hat als jedes andere. Dieses ist aber leider in Vergessenheit geraten. Die Menschen wissen kaum etwas über Brot und das, was sie zu wissen glauben, ist oft falsch. Brot macht dick usw. – das ist Humbug. Früher haben die Menschen deutlich mehr Brot gegessen und waren keinesfalls dicker, im Gegenteil.

WNOZ: Warum backen Menschen in der Krise – und warum ausgerechnet Brot und nicht Kuchen?
Kütscher: Brot hat etwas sehr Ursprüngliches. In der heutigen Zeit nutzen viele ihre Hände beruflich ja vor allem, um den ganzen Tag auf eine Tastatur einzuhämmern. Abends fragt man sich dann, was man eigentlich gemacht hat. Mit den eigenen Händen ein Lebensmittel schaffen zu können, ist hingegen etwas Besonderes. In der Krise haben die Menschen gemerkt, wie fragil die Lebensmittel-Lieferkette im Handel sein kann. In der Folge haben sie Mehl und Hefe gebunkert und Brot gebacken, das anders als Kuchen ernährungsphysiologisch besonders wertvoll ist und zur Grundversorgung beiträgt.

WNOZ: Was halten Sie persönlich vom Corona-Hype ums Brotbacken?
Kütscher: Ich finde es gut, wenn Menschen auch mal selbst backen, weil sie dann den Wert eines Brotes zu schätzen lernen. Wer auf traditionelle Art ein Brot backt – mit Sauerteig und langer Reifezeit –, der weiß, dass an den Preisen im Discounter etwas nicht stimmen kann. Hier wird ein Kulturgut verramscht!

WNOZ: Was ist das Problem mit der industriellen Produktion von Backwaren?
Kütscher: Wenn Sie ein Brötchen aus dem Backautomaten im Discounter holen, hat dieses einen unglaublich weiten Weg hinter sich. Der ökologische Fußabdruck ist katastrophal! Die Fabrik steht irgendwo in Deutschland oder im Ausland und produziert 24 Stunden am Tag das gleiche Produkt in riesigen Stückzahlen. Es wird dort bei 240 Grad vorgebacken, auf minus 30 Grad schockgefrostet und in mehrere Lagen Plastik verpackt, damit es über Wochen transportiert werden kann. Im Discounter wird das Brötchen wieder bei 240 Grad aufgebacken und hat dann kurz den Charakter eines frischen Produkts. Damit es diesen Prozess überlebt, kommen oft auch Zusatzstoffe in den Teig, die es aus meiner Sicht nicht braucht.

WNOZ: Wieso nicht?
Kütscher: Weil diese bei kurzen Wegen verzichtbar sind. Handwerkliche Bäcker setzen ihren Teig meist am Vortag an, lassen ihn lange reifen und backen ihn kurz bevor das Produkt verkauft wird. Auch Filialbäckereien – oft „Ketten“ geschimpft – arbeiten so, nur eben mit größeren Öfen, mehr Bäckern und mehreren Verkaufsstellen. Damit die Brötchen trotzdem in allen Filialen frisch sind, wird der Teig gekühlt – nicht gefroren – dorthin gebracht und vor Ort gebacken.

WNOZ: Wie unterscheidet sich Brot aus handwerklicher von dem aus industrieller Herstellung?
Kütscher: Hier kommt es natürlich sehr auf den Einzelfall an, doch versuchen Sie mal ein Toastbrot zum Schimmeln zu bringen. Das dauert Wochen. Da stellt sich mir die Frage, wie unser Körper mit diesem Brot fertigwerden will, wenn schon die Natur das kaum schafft. Ein gutes Mischbrot vom Bäcker hingegen reift nach dem Backen. Es hält sich einige Tage gut frisch und altert dann auf natürliche Weise. Mir persönlich ist das lieber.

WNOZ: Wieso kaufen manche ihr Brot trotzdem beim Discounter?
Kütscher: Das Brot im Handel ist billig und bequem, denn man kauft ja ohnehin dort ein. Der gesundheitliche und ökologische Aspekt wird da gerne mal verdrängt. Heute kommt nur noch jedes dritte Brot aus einer handwerklichen Bäckerei. Doch immer mehr Bäcker halten mit besonderen Brotqualitäten dagegen und auch Corona führt zu einem Wandel.

WNOZ: Wie sieht der aus?
Kütscher: In den Discountern war das Brot zeitweise ausverkauft, während die regionalen Bäckereien weiterhin täglich volle Regale hatten – übrigens auch immer genügend Mehl und Hefe. Das hat vielen Verbrauchern vor Augen geführt, dass die Globalisierung aus Sicht der Versorgungssicherheit hohe Risiken hat. Insofern ist der Brotumsatz der Bäckereien ist in der Krise gestiegen – auch wenn viele Bäcker in anderen Bereichen große Herausforderungen hatten, etwa weil Lieferungen an Schulen, Gastronomen, Hotels und Feste ausfielen. Brot aber wird nach meinem Eindruck seitdem bewusster eingekauft und lieber mal einen Euro mehr für ein gutes Brot aus regionaler Produktion ausgegeben.

WNOZ: Ist gutes Brot ein Luxusgut?
Kütscher: Das Brot vom regionalen Handwerksbäcker ist der billigste Luxus, den sich auch jeder leisten kann. So kostet ein gutes Brot in unser Region vielleicht fünf Euro pro Kilo. Daraus schneiden Sie 20 Scheiben, die also je 25 Cent kosten. Abends essen Sie vielleicht zwei davon, haben also 50 Cent ausgegeben. Das kann sich doch jeder leisten! Das traditionelle Abendbrot ist insofern nicht nur die ernährungsphysiologisch wertvollste, sondern auch günstigste Mahlzeit am Abend.

WNOZ: Woran erkennt man ein gutes Brot?
Kütscher: Die Schlange vor der Ladentür des Bäckers ist schon mal ein gutes Indiz, denn gute Qualität spricht sich herum. Das Brot muss mich außerdem im Brotregal anlachen, durch eine tolle Form, ein Farbspiel der Brauntöne und einen schönen Ausbund. Wenn ich es anschneide, muss ich hinterher meine Küche kehren – auch das ist ein Qualitätsmerkmal. Denn eine dicke Kruste ist eine Art Frischetresor und trägt außerdem 80 % zum Brotaroma bei. Nach dem Anschnitt darf das Messer nicht verklebt sein, sonst ist bei der Sauerteigführung etwas schiefgelaufen. Beim Anblick des Brotinneren – der Krume – erwarte ich ein arttypisches Porenbild, bei einem klassischen Weißbrot z.B. eher kleine Poren, beim Baguette hingegen große. Im Mund muss die Textur des Brotes dann ebenso begeistern wie das Spiel milder Aromen, die bei der Fermentation und beim Backprozess gebildet wurden. Letztlich ist das aber nicht repräsentativ, denn Qualität ist immer auch Geschmackssache. Als Bäckermeister bin ich da natürlich viel kritischer als andere.
(Ergänzung, außerhalb des Interviews: der Bäckerfinder des Deutschen Brotinstituts hilft ebenfalls bei der Suche nach gutem Brot)

WNOZ: Was ist Ihr Lieblingsbrot?
Kütscher: Grundsätzlich bin ich ein Fan von traditionellen Brotsorten. Für mich braucht es keine zwölf verschiedenen Saaten, Nüsse, Kräuter und Gewürze im Brot. Mir genügt das arttypische Brotaroma und eine schöne, kräftige Kruste. Mit einem gut gebackenen Holzofenbrot habe ich insofern viel Freude, wechsle aber gerne auch mal ab. In der Akademie sitze ich ja an der Quelle neuer Brotkreationen und entdecke immer wieder neue Lieblingsbrote.

WNOZ: Was war Ihre kurioseste Entdeckung?
Kütscher: Da gibt es viele! So backen manche Bäcker etwa ein spezielles Baguette, das durch Sepia – also natürliche Tintenfisch-Farbe – pechschwarz ist. Die Farbe signalisiert dem Gehirn: Vorsicht, ich bin bitter! Überraschenderweise schmeckt das Brot dann aber total lecker. Oft sogar leicht süß, weil Cranberries mit in den Teig gegeben werden.

WNOZ: Würden Sie Hobbybäckern raten, mit Zutaten zu experimentieren?
Kütscher: Es ist einfacher, mit bewährten Basisrezept zu starten und diese laut Anleitung nachzubacken. Bis man mit Rezepten variieren kann, also Getreide tauschen oder andere Zutaten hinzufügen, braucht es einige Erfahrung, macht dann aber umso mehr Spaß.

WNOZ: Was würden Sie jemandem empfehlen, der mit dem Brotbacken anfängt?
Kütscher: Holt Euch Tipps vom Profi! Immer mehr Bäckereien bieten Backkurse an und die Stars unserer Branche haben längst eigene Backbücher. Denn es ist dem Bäckerhandwerk nicht entgangen, dass bei vielen der Wunsch besteht, Backen zu lernen. Mit Blick auf den Nachwuchs finde ich das sehr gut. Backen ist wieder sexy!

WNOZ: Bietet die Akademie in Weinheim solche Kurse an?
Kütscher: Wir sind die zentrale Bildungseinrichtung für die Profis der Branche, bieten aber zwei-dreimal im Jahr einen Kurs für Quereinsteiger an. Auch dieser dient primär Menschen, die zwar eine berufliche Aufgabe im Bäckerhandwerk übernommen haben, aber fachfremd sind. Etwa Geschäftsführer von Zulieferfirmen oder Verbänden, oft gelernte Juristen und Kaufleute. Über unsere Website finden und buchen dies auch schon mal Hobbybäcker oder Söhne und Töchter von Bäckereien, die studiert haben und nun ausprobieren wollen, wie sich backen so anfühlt. Viele erlernen danach den Beruf!

WNOZ: Der Zeit-Artikel, von dem ich anfangs gesprochen habe, bezieht sich auf einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Brot“, der Ende Juni in den Kinos angelaufen ist. Haben Sie den Film gesehen?
Kütscher: Ja, der Regisseur Harald Friedl ist ein Freund von mir. Wir planen am 1. September ein Kino-Event in Weinheim, wozu er anreisen und mit den Zuschauern diskutieren wird. Aufgrund der Corona-Beschränkungen werden dort aber leider nur unsere Seminargäste Platz finden können. Der Film ist jedoch sehr empfehlenswert, weil er die Bandbreite zwischen industrieller und handwerklicher Herstellung zeigt, ohne dabei dogmatisch zu sein. Er zeigt, was Brot ausmacht und wirft auch einen Blick in dessen Zukunft.

WNOZ: Wie wird die aussehen?
Kütscher: Im Film sieht man ein Projekt in Belgien, das herausfinden möchte, wie man auf dem Mars Brot backen kann. Für mich liegt die Zukunft des Brotes aber in seiner Vergangenheit: Traditionelle Herstellung mit guten Zutaten aus der Region und langen Teigreifezeiten.