Szenario Brotmarkt

Zukunftstrend Bäckerhandwerk: Szenario für den Brotmarkt 2030

10 Thesen für das Bäckerhandwerk und den Brotmarkt in 10 Jahren und auf dem Weg dorthin. Der Text wurde am 1. Januar 2020 publiziert und umfasst daher keine Effekte der Corona-Pandemie. Bei Gelegenheit wird der Text hierzu aktualisiert.

Niemand kann in die Zukunft schauen, auch ich nicht. Doch Entwicklungen der Gegenwart, die Beschäftigung mit verschiedenen Trendstudien, Tendenzen, Gespräche und persönliche Annahmen lassen mich an eine gewisse Wahrscheinlichkeit der folgenden Szenarien glauben. Diese stellen meine persönliche Sichtweise dar und erheben weder Anspruch auf Richtigkeit noch auf Vollständigkeit. Sie setzten voraus, dass normale Entwicklungen die neue Dekade bestimmen und keine allzu dramatischen Umbrüche in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auftreten.

1) Neue Balance der Ökonomie

Die Zeiten des permanenten ökonomischen Wachstums weichen bis zum Jahr 2030 einer nachhaltigen wirtschaftlichen Sichtweise, auch in den Bäckereien. Für viele Unternehmen wird der Beitrag zur Gesellschaft wichtiger als der Gewinn. Größere Unternehmen der Branche werden im Jahr 2030 teilweise als Stiftungen oder Genossenschaften geführt, viele andere verhalten sich wie solche. Ziele werden dort nicht mehr von der Unternehmensspitze vorgegeben, sondern gemeinsam mit Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden entwickelt. Auch die Erträge werden innerhalb der Wertschöpfungskette aufgeteilt. Die Globalisierung geht zurück, Wirtschaftskreisläufe werden kleiner. Der Lebensmitteleinzelhandel kauft sein Premiumsegment durchgängig bei starken Bäckermarken aus der Region.

2) Digitalisierung und Automatisierung

Das Smartphone oder dessen Nachfolgetechnologien steuern in 2030 alle relevanten Bereiche des Lebens, auch die Prozesse innerhalb von Bäckereien. Arbeitsanweisungen, Checklisten und Abläufe werden überwiegend digital kommuniziert und nach Erledigung mit einem Klick bestätigt, Fehler hierdurch weitgehend ausgeschlossen. Kunden wickeln den Einkauf von Lebensmitteln zunehmend digital ab, via App oder Sprachassistent. Smarte Lieferlösungen werden zum Standard für die Versorgung mit Lebensmitteln aller Art, woran sich auch Bäckereien beteiligen. Immer mehr Herstellungsprozesse werden digitalisiert und automatisiert, immer mehr Produkte personalisiert. Bäckereien und Konditoreien bieten unter anderem konfektionierte Produkte aus dem Lebensmitteldrucker an. Fachkräfte in den Backstuben werden verstärkt mit Robotern zusammenarbeiten, die einfache Routineaufgaben und körperlich schwere Tätigkeiten übernehmen.

3) Rückbesinnung auf Heimat und Handwerk

Die digitale Einsamkeit fördert als Gegentrend die Sehnsucht nach persönlichem Dialog, Geborgenheit, Regionalität und Heimat. Gastronomisch aufgestellte Bäckereien werden zum Zentrum der Begegnung und hierzu verstärkt auch Kulturprogramme anbieten, etwa Lesungen, Vorträge, nach Zielgruppen segmentierte Nachbarschaftstreffen sowie kleine Konzerte. Traditionell hergestellte Brotsorten mit Geschichte werden im Jahr 2030 eine hohe Marktbedeutung haben und gute Preise erzielen, z.B. sehr große Brotlaibe, die portionsweise nach Gewicht verkauft und in Wachspapier eingeschlagen werden – auch scheibenweise für kleine Haushalte. Die Bedeutung handwerklicher Fähigkeiten wächst, damit der Bedarf an Bildung. Der Beruf des Bäckers wird in der Gesellschaft deutlich an Ansehen gewinnen und dessen Kunst auch als Beruf wieder geschätzt. Handgemachtes wird zum neuen Luxus.

4) Urbanisierung und Nachhaltigkeit

Immer mehr Menschen werden sich bis zum Jahr 2030 auf die Vorteile ländlicher Räume im Umfeld der großen Städte zurückbesinnen. Durch neue, smarte Mobilitätslösungen und eine bessere Infrastruktur wird das Ländliche zu einem Teil der Städte. Bäckereien werden hiervon profitieren, sofern sie einen Standort an den Pulsadern der Mobilität bieten oder durch gut gepflegte Bäcker-Gastronomie zum zentralen Treffpunkt des Ortes werden. Die Nachhaltigkeit aller Prozesse steht im Vordergrund. Die größtmögliche Regionalität, ein niedriger Energieverbrauch bis hin zur CO²-Neutralität, die Schonung von Ressourcen durch Reduzierung von Plastik und anderem Abfall inklusive der Vermeidung von Foodwaste ist fester Bestandteil einer jeden unternehmerischen Überlegung.

5) Slow Society und New Work

Die Bedeutung der Langsamkeit nimmt bis 2030 zu. Reisen wird weniger global und zunehmend zur entspannten Erfahrung, weil Entschleunigung nicht nur die Umwelt schont, sondern auch die Qualität der Erlebnisse erhöht. Viele Geschäftsreisen werden durch smarte digitale Lösungen ersetzt. Dies gilt bei Bäckereien z.B. auch für die Besuche der eigenen Filialen, die zunehmend virtuell erfolgen, etwa mit VR-Technologie. Durch den demographischen Wandel bleibt es bis zum Jahr 2030 herausfordernd, genügend qualifizierte Mitarbeiter(innen) zu gewinnen. Bäckereien bieten hierzu regelmäßig Beteiligungen am Unternehmenserfolg sowie verstärkt an die jeweilige persönliche Lebensplanung angepasste New Work Modelle an, z.B. Homeoffice-Angebote, temporäre Praktika in anderen Bäckereien und die Möglichkeit von Auszeiten in Form von Sabbaticals.

6) Alte Werte und neue Gemeinschaften

Neue Formen der Gemeinschaft verändern die Gesellschaft bis zum Jahr 2030 aus der Mitte heraus. Innerhalb dieser Entwicklung wird die Bäckerei zum neuen Hort der Menschlichkeit. Ruhe, Gelassenheit und freie Zeit werden zu neuen Statussymbolen, als Gegentrend zur permanenten Reizüberflutung. Der Verlust von Werten führt zu einer Sehnsucht nach Sinn. In einer immer älteren Gesellschaft entstehen neue Gemeinschaften, auch rund um das Brot. In vielen Orten wird das alte Dorfbackhaus wiederbelebt oder ein neues eingerichtet. Bäckereien können hiervon profitieren, indem sie sich mit ihrer Kompetenz ins Zentrum des gesuchten Brotback-Knowhows stellen, etwa durch Backkurse, Backbücher oder Rezeptblogs.

7) Gründerwelle und Brotkult

Stark personenbezogene Bäckermarken und gastronomisch geprägte Bäckereien mit Wohlfühlambiente und Erlebnisfaktor werden zu den Gewinnern gehören. Kultbäcker sorgen für einen neuen Brotkult. Diese werden bis zum Jahr 2030 auf Augenhöhe mit prominenten Köchen und ebenso bundesweit bekannt sein. Immer mehr Bäckereien verdichten ihr Sortiment auf jene Produkte, die sie unterscheidbar besser herstellen können als andere Anbieter. Die Markenpflege von Signaturprodukten bekommt eine neue Qualität. Eine Welle an Gründern starten neue Bäckereikonzepte, oft mit stark reduziertem Sortiment. Bäckereien werden auch Merchandising-Produkte anbieten.

8) Ernährung wird zur Medizin

Die Erkenntnis, dass die Darmflora und deren Verbindung zum Gehirn entscheidend zur Gesundheit von Körper, Geist und Seele beitragen, wird zu einer noch stärkeren Bedeutung der Ernährung in unserer Gesellschaft führen. Die Dogmatisierung wird zunehmen und die jeweilige Ernährungsform weiter zu einer Art Ersatzreligion. Bis zum Jahr 2030 werden Produkte mit spürbaren gesundheitlichen Zusatzfunktionen angeboten, dazu auch personalisierte Lebensmittel. Die Nahrung wird zur Medizin. Bäckereien können passende Vorprodukte erwerben, deren Backwaren medizinische Effekte erzielen. Die Bedeutung von Bio- und Vollkornbackwaren sowie Backwaren mit Anreicherungen von Pflanzenfasern oder Rohstoffen mit hohen antioxidativen Wirkungen usw. steigt.

9) Dominanz von nachhaltiger Qualität und Frische

Wo das Prinzip der Langsamkeit nicht greifen kann, wird die Ernährung des Jahres 2030 in den urbanen Strukturen ebenso flexibel und mobil sein wie heute. Doch aus „Fast Food“ wird „Fast Good“, hierzu entstehen neue Filialkonzepte am Markt. Der Bäckersnack der Zukunft bietet neben dem Genuss- und Sättigungswert einen hohen gesundheitlichen Nutzen sowie immer auch ein gutes Gewissen. Dabei einsetzte Brotbeläge kommen nur noch selten von Tieren, sondern aus dem Labor, oft gänzlich aus Pflanzenproteinen. Die Verpackung wird sehr reduziert und wiederverwertbar oder essbar sein. Neben diesen Faktoren wird die Frische zum entscheidenden Verkaufsargument. Die meisten Premium-Backwaren werden mit echter Ofenfrische verkauft. Die Herstellung findet immer weniger nachts in zentralen Produktionen, sondern häufig tagsüber und dezentral statt, vor den Augen der Kunden.

10) Marktsegmentierung und Renaissance des Brotes

Traditionelle Brotmahlzeiten wie das Abendbrot ersetzen bis 2030 immer häufiger warme Mahlzeiten. Weil das Backen von Brot Achtsamkeit und Ruhe pur ist, wird die Zahl der Menschen, die Brotbacken zum Hobby wählen ebenso ansteigen wie die Zahl jener, die ihr Hobby zum Beruf machen. Der Marktanteil preisgünstiger Backwaren aus industrieller Produktion wird bis 2030 weiter wachsen, doch im Handwerk werden Brotpreise oberhalb von 10 Euro keine Seltenheit sein. Brot rückt bis zum Jahr 2030 wieder stärker in den Fokus der Menschen, so wie es in der Kultur der Menschheit schon immer eine zentrale Rolle eingenommen hat, bis Backwaren vom Handel als billige Frequenzbringer entdeckt wurden.

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Wie gesagt handelt es sich bei den hier verfassten „Zukunftstrends“ zum Brotmarkt bis 2030 um rein persönliche, hypothetische Annahmen. Über Eure Meinung hierzu per Facebook oder Instagram würde ich mich freuen.

Allen Lesern dieses Beitrags wünsche ich ein gutes, neues Jahrzehnt mit Gesundheit, Glück, persönlichem Erfolg und viel gutem Brot. Lasst uns gemeinsam das Beste aus den neuen Zwanzigern machen.

1. Januar 2020
Bernd Kütscher

ACHTUNG: Der Text wurde am 1. Januar 2020 publiziert und umfasst daher keine Effekte der Corona-Pandemie. Bei Gelegenheit wird der Text hierzu aktualisiert.