Eine wunderschöne Stadt und spannende Bäckereien…
Jeder Bäcker, der etwas auf sich hält, sucht einerseits den Austausch mit Kollegen und kann andererseits an keiner Bäckerei vorbei gehen, ohne zumindest einen kurzen Blick hinein zu werfen. In der Kombination dessen organisieren sich gute Bäckergruppen in Erfahrungsaustauschkreisen (Erfa-Kreisen), um sich gegenseitig zu besuchen und zu vergleichen. Gelegentlich geht es dabei auch in große Städte, um die Bäckerszene dort kennen zu lernen. Wien steht hierbei auf der Liste ganz oben, auch wegen Josef Weghaupt mit seinem in der Branche vielbeachteten Konzept Joseph Brot (www.joseph.co.at). Ich selbst war bereits mehrfach in der Hauptstadt Österreichs und kannte schon einzelne Bäckereien in Wien, hatte leider aber noch nicht die Gelegenheit, an einer organisierten Trendtour dort teilzunehmen, so dass ich die Einladung zu einer Kurzreise mit Bäckerfreunden im heißen Sommer 2015 gerne annahm.
Ein glücklicher Umstand wollte es, dass ich wenige Monate zuvor Harald Friedl kennen gelernt habe, der in Wien lebt, sich als Regisseur von Dokumentarfilmen einen Namen gemacht und viele Auszeichnungen gewonnen hat (Filmtipp: „Aus der Zeit“ – unbedingt ansehen). Harald war so freundlich, unsere kleine Gruppe zu den Lieblingsbäckern in seiner Stadt zu führen.
Los ging es mit der Bio Holzofenbäckerei Gragger in der Spiegelgasse (www.gragger.at), sehr zentral gelegen. Der erste Blick im recht kleinen Verkaufsraum fällt auf das Brotregal mit schmalen, hochkant angeordneten Fächern, wie man es auch von Sarah Wiener in Berlin kennt und auf deren Website (www.wienerbrot.de) sieht. Das recht würzig gebackene Brot stammt aus dem Holzofen im Laden, welcher von der dahinter liegenden Backstube bestückt wird. Nach der Verkostung einiger Produkte, darunter die Wachauer Brötchen mit Kümmel, als Lieblingsbrötchen von Harald Friedl, zogen wir weiter.
Im traditionsreichen, bereits 1618 gegründeten Lokal „Zum Schwarzen Kameel“ in der Bognergasse durften wir danach die Wiener Sandwichkultur kennen lernen. Schon das Ambiente im Wiener Jugendstil ist ein Erlebnis! Eine Theke am Eingang bietet dutzende kleine Brothäppchen mit verschiedensten edlen Aufstrichen feil, die je nach Belag zwischen 1,25 Euro und 2,60 Euro kosten.
Im Gegensatz zu in Deutschland bereits realisierten Brotkonzepten wie z.B. bei Aran (www.aran.coop) oder Pano (www.pano.coop) die gleichsam auf eine gute Brotscheibe/Stulle mit Belag setzen, muss ich mich in Wien nicht für eine Brotsorte und Auflage entscheiden, sondern kann durch die Portionsgröße stets verschiedene probieren. Etwas Vergleichbares kenne ich in Deutschland noch nicht, bin aber sicher, dass ein solches Konzept auch hierzulande realisierbar wäre.
Nach kurzen Blicken in eine Filiale von „Der Mann“ (www.dermann.at) und in die Bio Vollwertbäckerei Gradwohl (www.gradwohl.info), die eine Auswahl sehr empfehlenswerter Bio Vollkorn Gewürzkräcker auf der Theke anbietet, besuchten wir die Keimzelle von Joseph Brot in der Naglergasse, welche ich bereits von einem früheren Wien-Besuch kannte.
Es ist schwer zu beschreiben, was den Kult von Joseph ausmacht. Die Mischung aus dem bewusst zurück genommenen Design in schwarz-weiß? Die Betonung der Regionalität, in Kombination mit durchweg guten, wenn auch nicht überragenden Produkten? Der kultig-kleine Laden in der Naglergasse, in dem laufend frisch gebacken wird? Der spielerische Umgang mit dem Vornamen des Inhabers Josef Weghaupt, der sich für seine Bäckerei bewusst für die Schreibweise mit ph entschieden hat und dies in der Kommunikation voll ausspielt (z.B. „Brot vom Pheinsten“)? Es liegt wohl auch am verbreiteten negativen Image der Backbranche, gegen das er sich als Quereinsteiger sehr öffentlichkeitswirksam stellt. Zitat aus einem Interview: „Es ist schon pervers: Selbst Bäckergesellen oder Bäckermeister geben auf, wenn es darum geht, Sauerteig zu machen, ohne eine Backmischung zu verwenden.“[1] Hierzu habe ich eine ganz andere Meinung, wie an anderer Stelle aufgeführt.
Die Überschrift des zitierten Berichts aus dem Jahr 2013 lautet „Millionär werde ich als Bäcker sicher nie“. Dies darf gleichsam bezweifelt werden, zumal Joseph Höchstpreise für sein Brot bekommt und in Interviews damit begründet, dass er „keine Maschinen“ bei der Herstellung verwendet. Dies bedient die Sehnsucht nach Bäckerromantik, entspricht aber wohl kaum durchgehend der Wahrheit. Zumindest die Teige wird sein Team kaum mit der Hand kneten.
Das Frühstück am nächsten Morgen wurde übrigens im Gastro-Standort von Joseph in der Landstraßer Hauptstraße eingenommen. Das Frühstück selbst war recht gut, allerdings wirkte hohe und extrem hallende Raum recht ungemütlich. Gut möglich, dass dies bewusst so gestaltet wurde, um die Gemütlichkeit angesichts des hohen Kundenandrangs zu reduzieren, damit auch die Verweildauer an den wenigen Tischen. Als tolle Idee empfand ich die Tischauflage mit einer Landkarte von Österreich: darauf eingezeichnet die Namen und Herkunftsorte all seiner Lieferanten. Beispielhafte Transparenz!
Sehr beeindruckt hat mich der Besuch der Bäckerei Felzl (www.felzl.at), die kluge Ansätze zur Vermeidung von Brotabfällen (Branchenjargon: Retouren) gesucht und gefunden hat. Zum einen werden hieraus knusprige Brotchips hergestellt und als „Felzolini“ angeboten. Zum anderen findet man in der Schottenfeldgasse statt der Eingangstüre des Stammhauses nun einen Brotautomaten, der „365 Nächte im Jahr geöffnet“ hat und in dem jeden Abend nach Ladenschluss übrig gebliebenes Brot zu einem vergünstigten Preis angeboten wird. Der ehemalige Laden dahinter dient nun der Erweiterung der Backstube.
Leider konnten wir die Bäckerei „Kornradl“ von Konrad Smolle nur durch die Scheibe bewundern, die ein echter Geheimtipp sein soll und leider wegen Betriebsferien geschlossen war. Harald Friedl wusste aber zu berichten, dass der Inhaber selbst dort bäckt und verkauft, als Ein-Mann-Betrieb, nur am Wochenende verstärkt durch eine Aushilfe im Verkauf. Die Bäckerei bzw. der Bäcker gönnt sich nicht nur 5 Wochen Betriebsferien, sondern hat generell nur 4 Tage die Woche geöffnet. Dies scheint bestens zu funktionieren, trotz denkbar ungünstiger Lage in einem Hinterhof, über dessen Eingang „Freiwilliger Durchgang“ prangt, vermutlich eine andere Bezeichnung für Privatgrundstück. Die Besonderheit der Bäckerei sollen besonders kräftig gewürzte Brot aus selbst gemahlenem Biogetreide sein. Davor steht üblicherweise das „Kornradl“, ein Fahrrad, auf dem Konrad Smolle durch Wien fährt. Hier wird Bäckerromantik offenbar nicht vorgespielt, sondern gelebt.
Auf die Beschreibung der später nur sehr kurz besuchten Bäckereien wie z.B. der Bäckerei Felber („Felber bäckt selbst“), Anker-Brot, Geier usw. verzichte ich hier, weise aber auf das Konzept „Ströck-Feierabend“ der Bäckerei Ströck hin, das einen Besuch lohnt. Und die Wiener Kaffeehauskultur, die ich von einem anderen Besuch kenne, bleibt gänzlich außen vor. Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass sich die ausgesprochen schöne Stadt Wien auch mit ausgesprochen interessanten Bäckereien schmückt und daher für Bäckergruppen wie für Brotfreunde zu recht stets eine Reise wert ist.
Mein Dank gilt Harald Friedl und Volker Schmidt-Sköries, der zur Trendtour eingeladen hatte.
DiePress.de, http://goo.gl/hrI6l8